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Donal Ryan: Die Lieben der Melody Shee


Die Lieben der Melody Shee von Donal Ryan erschien im Frühjahr 2018 in der Übersetzung aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll im Diogenes Verlag. 304 Seiten.

Nachdem ich in den letzten Wochen lesend einige Länder - darunter Georgien, Israel und Japan - entdeckt habe, bin ich nun wieder in Irland gelandet.

Ich bin grosser Fan der grünen Insel, konnte auch schon einiges vom Land sehen und greife immer wieder gerne zu irischen Autoren.

Donal Ryan ist nebst John Boyne und Colm Tóibín wohl einer der bekanntesten und wichtigsten Vertreter der kontemporären irischen Literatur.

Die Lieben der Melody Shee (im englischen Original All We Shall Know) ist nicht das erste Buch von Ryan, das bei mir eingezogen ist, trotzdem aber das Erste, das gelesen wurde.

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Melody Shee ist schwanger von einem Siebzehnjährigen. Sie ist dreiunddreissig und in einer festen Beziehung mit unerfülltem Kinderwunsch, er ist ein Traveller und ihr Schüler.

Nach mehreren Fehlgeburten lässt sich Melodys Jugendliebe Pat ohne ihr Wissen sterilisieren und stellt sie erst nach der OP vor die vollendeten Tatsachen - Melody beantwortet diesen Vertrauensbruch mit einem verhängnisvollen Abend mit ihrem Schüler. Sie wird schwanger und verliert das Kind dieses eine Mal nicht.

Der Roman ist in vierzig Wochen eingeteilt, sodass man Melody während und durch die Schwangerschaft begleitet. Sehr schön kann man hier beobachten, wie Melody - die anfangs unzugänglich und abweisend auftritt - immer mehr auftaut, wie ihr das kleine Wesen in ihrem Bauch auch eine gewisse Ruhe und Sicherheit zu geben scheint.

Sie ist hin und hergerissen zwischen dem kleinen Glück und der grossen Schuld, die sie sich gleichzeitig aufgeladen hat.

Während Melody für ihre Schwangerschaft missachtet wird, wird die junge Travellerin Mary Crothery von der Familie verstossen - eben weil sie kein Kind zur Welt bringen kann.

Die Traveller - so Ryan - seien die wahren Iren der Insel, leben noch heute abgeschottet und in Clans auf ihren Stellplätzen. Dadurch, dass Ryan einen wesentlichen Teil seiner Geschichte dort spielen und Melody immer wieder zurückkehren lässt, kommt einem die gnadenlose Welt des Clanlebens sehr nahe und man versteht:

Irland, das sind nicht nur singende Trolle und klingende Bächlein - viel mehr ist Irland vor allem eines, und zwar ein Land, das auch heute noch sehr unter dem Erzkonservatismus zu leiden hat.

Die Thematik und der Inhalt an und für sich haben mich schon sehr angesprochen - aber was mich endgültig überzeugt hat, war dann die Sprache.

Donal Ryan hat eine sehr eindringliche, nichtsdestotrotz fast schon lakonische Art zu erzählen. Wie einfühlsam und genau im Ton er ist, habe ich bemerkt, als ich mir während des Lesens immer wieder in den Kopf rufen musste, wer der Autor ist (in diesem Falle ein Mann, der über oder für eine Frau schreibt) - so menschlich und perfekt malt Ryan das Bild seiner Charaktere.

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