John Boyne wird seit seinem Roman Der Junge im gestreiften Pyjama als internationaler Autor gefeiert, elf Jahre später schreibt er wieder einen Roman, der die Bestsellerlisten anführen wird, noch viel wichtiger aber: ein weiterer Roman, der mitten ins Herz geht und einem nicht nur berührt, sondern auch betroffen zurücklässt.
Erzählt wird die Geschichte von dem kleinen Pierrot, der nach dem Tod beider Eltern zu seiner Tante Beatrix kommt, die auf dem Berghof nahe Salzburg arbeitet.
Dass der Berghof nicht nur ein Ort der Ruhe ist, wird Pierrot bald bemerken, denn das Haus ist die Sommerresidenz des Führers.
Obwohl er nicht im Krieg gestorben ist, habe der Krieg ihn umgebracht, pflegt Pierrots Mutter über dessen Vater zu sagen. Doch was für Spuren der erste Weltkrieg und die Niederlage des Vaterlandes wirklich hinterlassen haben, wird einem erst während des Lesens klar.
Ein Stockwerk weiter unten lebt Anshelm, nicht nur bester Freund, sondern sowas wie Bruder für Pierrot. Die Jungen wachsen schon seit Kindheit miteinander auf und verständigen sich - aufgrund Anshelms Taubheit - in Gebärdensprache. Nachdem seine Eltern tragischerweise zu Tode gekommen sind, wird Pierrot erst für eine kurze Zeit ins Waisenhaus, dann zu seiner deutschen Tante Beatrix - väterlicherseits - geschickt. Auf der langen Bahnreise begegnet er bereits Mitgliedern der Hitlerjugend sowie einem SS-Offizier, mit dem er ein schmerzvolles und prägendes Zusammentreffen hat.
"Eines Tages werden wir uns zurückholen, was uns gehört", sagte er und sah dem Jungen tief in die Augen. "Und wenn es so weit ist, denk dran, auf welcher Seite du stehst. Du magst in Frankreich geboren sein und in Paris leben, aber du bist durch und durch Deutscher, genau wie ich. Vergiss das nicht, Pierrot."
Bald schon wird Pierrot zu Peter und das französische Engelchen zum deutschen Bub und Vorzeigemitglied der HJ.
Pierrot kündet an, keine weiteren Briefe von seinem jüdischen Freund Anshelm Bronstein erhalten zu wollen und beantwortet diese fortan auch nicht mehr. Er verleugnet seinen besten Freund und verrät seine Tante, die dafür mit dem Tod bezahlen muss. Immer des Öfteren wird Peter von Hitler in Gespräche und wichtige Planungssitzungen einbezogen, soll sogar Protokoll schreiben, als er sich mit Himmler und anderen hohen Tieren der SS trifft - und Peter fragt sich, warum man denn eine Dusche baut, die zwar wie eine aussieht, allerdings kein Wasser versprüht. Wenn nicht Wasser, was denn sonst? Und manchmal beginnt sich Peter zu fragen, wer genau denn dieser Herr Hitler ist...
Während ein jeder weiss, wer er ist und was er bewirkt, schaut Pierrot ehrfürchtig zum Führer hoch. Schliesslich ist er es, der dem Jungen die Zeit auf dem Berghof ermöglicht, ihn mit neuen Uniformen einkleidet und sogar Hund Blondi anvertraut. Was leider nicht immer ganz nachvollziehbar war, war der Zeitablauf - vorangehendes Beispiel: ein achtjähriger Junge, der Mein Kampf liest und versteht. Für mich aber schien es eher als solle dies alles umso stärker zeigen, wie kindlich Pierrot noch war als er auf den Berghof kam, wie unschuldig, man könnte fast sagen: unbefleckt. Ganz so ist dem nicht, denn schon früh wird Pierrot von seinem Vater der Stolz für's Deutsche Vaterland mitgegeben - was er auf dem Berghof hört, hört er nicht zum ersten Mal und Hitler verankert das Denken vorsichtig und geschickt im Kopf des anfangs siebenjährigen Jungen. Bald schon muss man Pierrot klar machen, dass der Führer kein Ersatz für seinen verstorbenen Vater ist.
[...] und je lauter er schlug, desto lauter jubelten die Menschen und rissen die Arme in die Luft, alle gleichzeitig, als wären sie ein einziges Wesen, das von einem einzigen Kopf gesteuert wurde, und riefen: "Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!" Pierrot sass in ihrer Mitte, und seine Stimme war genauso laut wie die aller anderen, seine Begeisterung genauso gross, sein Glaube genauso stark.
Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich wieder Gänsehaut, denn - wie auch schon bei der Geschichte um Bruno und seinen im KZ inhaftierten Freund Schmuel - ist ganz klar, mit was Boyne hier spielt: die Unschuld des Kindes. Die Suche nach einer neuen Vaterfigur und der Wille sich zu verändern, sind nur zwei der Faktoren, die dafür sorgen, dass die Entwicklung des Protagonisten für den Leser greifbar wird. Sehr schnell kippt die Situation und man kann erkennen, wie verführerisch das Dazugehören ist und wie einfach das Weghören.
Pierrot kommt als siebenjähriger Junge auf den Berghof, ist zu Ende des Buches schon sechzehn Jahre alt und fragt sich:
Wird es Vergebung geben für uns? Für die, die wir es wussten oder zumindest etwas erahnen konnten - und doch nur zugeschaut, oder auch weggeschaut, haben...?
Konsens der Geschichte: Schaut nicht weg!
Im Vorwort greift John Boyne auf das Nachwort aus Der Junge mit dem gestreiften Pyjama, in welchem er schreibt, dass dies eine Geschichte sei, die vor langer, langer Zeit stattgefunden habe, die so nie mehr wieder passieren wird oder passieren kann. Jetzt, elf Jahre später, schreibe er wieder ein Buch und wieder sei die Welt voller Hass, Diskriminierung und Angst.
Der Junge auf dem Berg hat mich berührt und nachdenklich zurückgelassen. Ein Buch, das ich einem jeden von euch an's Herz legen möchte, weil es in Zeiten wie diesen umso wichtiger ist.