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T.C.Boyle: Die Terranauten

  • Paula Abigail
  • 25. Jan. 2017
  • 4 Min. Lesezeit

4 Frauen, 4 Männer, eingeschlossen in Ecosphere2 nach dem Motto: Nichts rein, nichts raus.

Denn genau darum geht es: In einem geschlossenen System zu leben - zu überleben. Ohne jegliche Hilfe von aussen, ohne Sauerstoff aus E1 - so wird die Welt draussen genannt -, ohne zusätzliche Lebensmittel oder medizinische Versorgung. Selbst dann, als eine Terranautin schwanger wird.

Es war wie im Gefängnis - und glauben Sie bloss nicht, wir hätten keine Witze darüber gemacht, anfangs noch leichthin, dann aber zunehmend mit einer Bitterkeit, die sich keiner von uns hatte vorstellen können. (S.108)

Die Terranauten

Angelehnt an das Projekt Biosphere , das in den frühen 1990er-Jahren in Arizona stattfand, entwirft T.C. Boyle einen Lebensraum für seine acht Terranauten. Insbesondere zu Wort kommen Dawn «E.» Chapman und Ramsay «Vaj» Roothoorp, die beiden Terranauten, die an E2 teilnehmen - und Linda. Linda Ryu - aufgrund ihrer asiatischen Herkunft «Drachenlady» genannt -, die es nicht geschafft hat.

Die Anforderungen an die Terranauten sind hoch, denn sie sollen nicht nur hermetisch abgeschottet leben, sie sollen dort drin auch ihr Überleben und das der Tiere sichern, mit allem drum und dran: Nutztierhaltung, Bearbeitung der Felder, die Instandhaltung des eigens für sie angelegten Ozeans und natürlich das Säen, Pflegen und Ernten der Nahrungsmittel. Und dabei noch ein gutes Bild abgeben für die Massen an Journalisten, Fernsehmenschen und Touristen, die tagtäglich zu der Glaskuppel pilgern, um einen Blick auf die Teilnehmer des Projekts und ihr Leben zu werfen.

Anfangs ist das Gefühl des Gemeinsamen noch gross, doch immer öfters - wenn auch nur langsam schleichend -, fangen die Mitglieder an, für sich zu handeln. Mal wird eine Papaya aus dem Wald geklaut, mal eine Banane aus der Vorratskammer. Die Türen zum eigenen "privaten Reich" können nicht verriegelt werden, doch immer öfters wünschen sich die Terranauten, sie könnten es, schieben sogar Kommoden vor die Tür, um diese zu blockieren.

Wir waren schon so lange drinnen - es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Wenn ich an die Welt jenseits des Glases dachte, war es, als würde ich von der falschen Seite durch ein Fernglas sehen: Alles schrumpfte bis zur Bedeutungslosigkeit. Wir waren tatsächlich auf einem anderen Planeten, und was auf der Erde geschah, spielte keine Rolle mehr. (S.325)

Durch Linda Ryu hat man die Möglichkeit, die Terranauten auch von aussen zu beobachten, denn während Dawn und Ramsay das Leben und Fühlen in der Glaskuppel beschreiben, kann Linda unsere Sichtweise auf das Wesentliche lenken, also ohne "Gefühlsdusseleien" der Terranauten. Denn davon gibt es ganz schön viele und die sind nicht ohne. Was den Terranauten am meisten zuzusetzen scheint, ist die Tatsache, dass ihnen jeglicher körperlicher Kontakt unterbunden ist; nicht, dass es verboten wäre, aber: Mit wem? Schliesslich sind da nur die acht Teilnehmer. Bald merkt Dawn, dass ihre allmorgenliche Übelkeit einen Auslöser haben muss und begibt sich zu Richard - Terranaut, Stationsarzt und durch die Zeit auch Freund - und muss erstmal seine Diagnose verarbeiten: Dawn ist schwanger. Von Vaj.

Ich rechne noch einmal nach, bevor ich sage: "Na dann - herzlichen Glückwunsch", und wenn das nicht besonders ausgefallen ist, kann ich's nicht ändern. Es ist ihr Fötus. Es ist ihr Problem. Und wenn das Problem nicht verschwindet, komme ich rein. (S.369)

Ecosphere2 darf man sich ein bisschen vorstellen wie Big Brother, im Buch wird es auch als Sekte - vielleicht aber auch nicht - beschrieben. Geleitet wird dieses Projekt vom Dreiergespann GV Jeremiah, Judy und Dennis - und Linda möchte dabei sein. Wenn sie schon nicht in E2 sein darf, so möchte sie doch wenigstens Teil davon sein. Und gibt alles dafür, um den drei in den Arsch zu kriechen und sie fallen zu sehen - wie sie selbst sagt. Und hofft insgeheim darauf, dass Dawn, die ihr während des Auswahlverfahrens zu einer Freundin wurde, ausscheidet aufgrund ihrer Schwangerschaft. Doch es kommt anders als gedacht...

T.C. Boyle hat kein überraschendes Buch vorgelegt, eher sogar ein sehr typisches. Schon oft hat er die Umwelt zum Thema gemacht in seinen Romanen, es ist also nicht überraschend, aber - wieder einmal - unglaublich gut. In einem Interview mit SRF antwortet Boyle auf die Frage, warum sich seine acht Wissenschaftler für zwei Jahre einschliessen lassen:

Ich glaube, sie waren aufrichtig motiviert, getragen vom Wunsch an diesem ökologischen Experiment dabei zu sein. Gelingt es uns, eine neue Welt zu erschaffen? Ja, sie erschufen eine neue Welt. Aber ist die wirklich nachhaltig? Klar, wenn Du 100 Milliarden investierst in Elektronik und Baukosten, sicher, dann können acht Menschen darin überleben.

Trotz des Umfangs - ich bin grosser Fan von Büchern, die maximal 400 Seiten haben -, hat mich die Geschichte der acht Bewohner von E2 nicht eine Seite lang gelangweilt und ich habe das Buch innert weniger Tage ausgelesen. Die Geschichte von acht Terranauten, vor allem aber: von Menschen mit Bedürfnissen.

Ich bin begeistert! Grossartiger Roman von einem der grössten zeitgenössischen Schriftsteller.

Die Terranauten erschien im Januar 2017 bei der Hanser Verlagsgruppe; Übersetzung aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. 608 Seiten, für ca. CHF 30.-

Die Bilder in diesem Beitrag habe ich der Homepage vom Verlag https://www.hanser-literaturverlage.de/ entnommen.

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