Jona Oberski: Kinderjahre
- Paula Abigail
- 14. Sept. 2016
- 2 Min. Lesezeit
Jona Oberski wurde im Alter von vier Jahren gemeinsam mit seinen Eltern erst ins Ghetto und schliesslich ins KZ Bergen-Belsen deportiert; in diesem Buch schreibt er seine Erinnerungen mit einer kindlichen und deshalb umso faszinierenderen Sprache nieder.
"Abends fragte Mutter, was ich tagsüber getan hatte. [ ...] Ich sei im Tropenhaus gewesen. Sie fragte, was das Tropenhaus sei. Ich sagte, das wisse sie wohl, sie wisse sehr wohl, dass dort die Leichen lägen, und sie wisse auch sehr gut, dass man meinen Vater zu den Leichen geworfen habe, und ebenso gut wisse sie auch, dass er nicht einmal ein Laken habe [ ...]. Und ich schrie, dass sie wohl verrückt sei, ihn so ohne Laken dort hinwerfen zu lassen, und dass sie mir nicht einmal erzählt habe, dass er aus der Krankenbaracke fort sei, und dass ich dann doch wohl erst einmal Abschied hätte nehmen dürfen und dass ich es gemein fand und dass es ihre Schuld sei, dass er so nackt bei den Leichen lag."
(S.96/97)

Ich habe in den letzten Jahren viel und immer wieder über den Holocaust gelesen, habe das KZ Dachau besucht und mir Dokumentationen und Filme dazu angeschaut; aber noch selten hat mich ein Buch zu diesem Thema so sehr beeindruckt wie eben dieses. Was wir heute wissen, war für ihn vollkommen unverständlich; es ist aus der unschuldigen Sicht eines Kleinkindes geschrieben, das dieses Übel und diese Bösartigkeit, den Hunger und die Gewalt nicht einordnen kann.
Wenn mich jemand nach meinen Kinderjahren fragen würde, dann würde ich wohl von Buntstiften und Disneys Tarzan und unserem Gameboy Colour erzählen; Jona Oberski hingegen erzählt vom Tropenhaus und von den Hemmungen, die Reste mit den Fingern aus dem Suppentopf zu kratzen, weil er glaubte, dass ihm seine Mutter das nicht erlaubt.
„Ein literarisches Monument, in einem Atemzug zu nennen mit den Werken von Anne Frank, Primo Levi und Imre Kertész.“
(Diogenes)
Tatsächlich hatte ich das Buch an einem Nachmittag ausgelesen; darüber nachgedacht und immer mal wieder reingelesen habe ich aber noch oft. Definitiv eines dieser Bücher, das sehr lange nachhallt.
Wenn sich der Begriff "schön" im Zusammenhang mit dem Holocaust nicht so schrecklich falsch anhören würde, dann würde ich sagen: Ein wirklich schönes Buch. Eindrucksvoll, berührend, und vor allen Dingen: wichtig.

Erstmals veröffentlicht wurde das Buch 1978. Darin verarbeitet Oberski seine Kinderjahre im KZ Bergen-Belsen und den Verlust seiner Eltern; die Widmung im Buch ist für seine Pflegeeltern:
Für meine Pflegeeltern,
die eine ganze Menge mit mir
auszuhalten hatten.
Kinderjahre erschien im Frühjahr 2016 im Diogenes Verlag; Übersetzung aus dem Niederländischen von Maria Csollány. 144 Seiten, für ca. CHF 29.-
Die Bilder in diesem Beitrag habe ich der Homepage vom Verlag www.diogenes.ch entnommen.
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